5. Tourwoche: von Bremerhaven bis Münster (13-19.10)

13.10: von Bremerhaven bis Bremen (viel mehr als ich erwartete – fast 80km)

Höhepunkte: der Bremerhavenaussichtsturm und das emsige gewusel an der Schleuse und Autoverladung; die Fährfahrt und der Blick gen Nordsee; das Radfahren auf dem Deich am Weserradweg

Begegnungen: ein Volkswirt und junger Papa aus dem Süden, der findet, dass man heute noch genauso ein Arbeitsleben lang bei einem Arbeitgeber bleiben kann – es ist nur Unternehmen schwer, die Leute zu halten; ein Fernradfahrer, der in die selbe Richtung fuhr – da konnte ich nicht widerstehen, holte ihn ein und hatte für einen Tag sehr interessante Unterhaltung während der Fahrt; ein Pärchen bei der Ankunft in Bremen, die auf meine Frage „wie es sich so lebe in Bremen“ antworteten, dass sie die Stadt aus so vielen Gründen super finden, dass sie nirgends anders hinwollten. Ein schönes Willkommen, danke.

Couchsurfing: in Bremerhaven war ich zu Gast bei einer Bulgarin, die dort einen Arbeitsaufenthalt im Rahmen des European-Volunteer-Programms macht und sich für würdige Rückkehrbedingungen von Flüchtlichen einsetzt. Bei ihrer Teilnahme an einem Deutschkurs für Einwanderer fand sie sehr merkwürdig, dass das deutsche System so großzügig zu Einwanderern ist, selbst wenn diese Deutschkurse nur absitzen und sich nicht anstrengen. Übrigens, “du solltest mit dem Projekt unbedingt nach Bulgarien kommen – wir haben sehr geringe Wahlbeteiligung und die jungen Leute interessieren sich überhaupt nicht für Politik …” – viel Glück mit deinem Vorhaben. Aus traurigem Anlass haben wir ihrem Vater zu Ehren das Glas gehoben und uns noch lange unterhalten.

14.10: ganz gemütlich in Bremen, 2 km Radfahren um Wein und Schokolade zu kaufen

Couchsurfing: mal ganz privat und gemütlich bei meiner Cousine, ihrem Mann und Kinderschar – vielen Dank für die schöne Ruhepause von Reise und Projekt.

15.10: nochmal ein Hometag in Bremen – bei Nieselregen

Höhepunkt: spielen und vorlesen mit der Jüngsten meiner Cousine

16.10: langsam kriegen die Beine wieder Lust

Höhepunkte: bei Abendsonne gemütlich in die Stadt bummeln; ganz Bremen trägt grün/weiß nach dem Sieg über Freiburg und rollt wie eine Weserwelle vom Stadion in Richtung Zentrum; die Bremer Stadtmusikanten spielen ein Ständchen, fast exklusiv für meine Reisefreunde; und ein unverheirateter fegte an seinem 30er die Treppen des Rathauses.

Begegnungen: ein japanisches Pärchen, das in Oldenburg studiert und ganz begeistert war von der Stimmung bei einem Bundesliga-Spiel; zwei Erasmus-Studenten (aus der Türkei und aus Spanien), die beobachteten, dass Deutsche immer in kleinen geschlossenen Gruppen weggehen – da ist schwer Kontakte zu knüpfen; und eine nette Truppe aus schon leicht älteren „Jungen“, die hartnäckig auf sämtlichen Angriffsflächen herumgeritten sind, anstatt zu sehen zu welchem gesellschaftlichen Defizit dieses Projekt einen beitrag leisten kann: „junge Deutsche“ ist zu patriotisch, die Umfrage ist so subjektiv und warum beschäftigst du nicht einfach ein Meinungsforschungsinstitut?

17.10: nach 3 Tagen Pause, von Bremen nach Vechta (64 km) – die Sonne lacht bei kühlen Temperaturen

Höhepunkte: Radfahren im flachen Land ohne Wind bei Sonnenschein; die schönen Gutshöfe und Landwirtschaften mit uralten Maschinen im Hof; endlich lerne ich Wildeshausen – ein kleines feines Städtlein mit regem Marktplatz

Begegnungen: zu Beginn einige junge Leute am Straßenrand, mit denen ich gerne gesprochen hätte, es aber nicht tat – wegen des anstrengenden Gesprächs am Vorabend; ein Pärchen am Spazieren in Wildeshausen – sie setzt sich für das Klima ein und findet schade, dass sie aus ihrer Arbeitserfahrung heraus nicht mehr an das „öko“ bei den meisten Energieanbietern glauben kann; und zwei grundverschiedene WGs in Vechta -in der einen ist der jugendliche Demo- und Vereins-Aktivismus schon dem Eintritt ins Berufsleben gewichen und in der anderen sind die Wände mit Antifa-Postern gepflastert und man diskutiert in einer inoffiziellen Gruppe Antifaschismus und Protest.

Couchsurfing: ein netter Franzose aus der Nähe von Paris, der Deutschland ganz klar den Vorzug vor Frankreich gibt, insbesondere das Umweltbewusstsein und die Mentalität seien hier besser; danke für die üppige Wohnzimmercouch und das Raclette

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18.10: von Vechta nach Osnabrück (68 km) – Reifüberzogene Autoscheiben glitzern im Morgennebel

Höhepunkte: wunderschöne Radwege zum Dümmersee und eine Kunstausstellung am Weg entlang; das gute Wetter lässt sich nicht unterkriegen; und die prächtigen Gutshöfe in Marl mit kunstvoll überschriebenen Portalen
Begegnungen: viele Radfahrer und Wintersurfer am Dümmersee

Couchsurfing: ein zu einer Studentenwohnanlage umgebauter Bauernhof der sehr an eine Kommune erinnert; eine sowas von trollige kleine WG-Katze und eine amüsante veganische Kochsession; das Bett war eine Couch am hinteren Ende der alten Scheune – 80 Quadratmeter für mich und einen weiteren Couchsurfer

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19.10: von Osnabrück nach Münster (65 km – dank schöner Radwege immer etwas mehr) – bei Sonne, Regen und Hagel

Höhepunkte: die Altstadt von Osnabrück und das Ersti-Gewusel am Schloss; die Fahrt durch den Teutoburger Wald mit dem „Als die Römer frech geworden …“ auf den Lippen; und das beruhigende Gefühl, dass mir gut eingepackt auch vor Regen und Hagel nicht bang sein muss

Begegnungen: eine junge Dame am Radhaus, die mich ansprach weil sie selbst so gerne Radreisen unternimmt – natürlich macht sie auch gerne bei der Umfrage mit und würde am liebsten nicht zur Arbeit gehen und mit nach Münster radeln; im Nussbaum-Museum gab es eine weitere Fahrradenthusiastin, die mir Spannendes vom Leben und künstlerischen Schaffen Felix Nussbaums erzählte; auf dem Weg aus Oesede karrte ich mit einer Schubkarre Holz hinters Haus, um einen jungen Familienvater zum Beantworten des Fragebogens zu bewegen; und in Bad iBurg hatte ich ein hochinteressantes Gespräch im Imbiss am See über die islamische Sichtweise auf meine Motivation und das Vorhaben (frei interpretiert): „im Islam lebt man das richtige Leben erst nach dem Tod – das Leben davor ist eine Prüfungswelt; diese mit einer weiteren Schicht der Abstraktion zu belegen durch Online-Wählen etc., wäre zuviel“  & „was zählt ist die Motivation, mit der man etwas tut, wie beim Gleichnis vom Stein am Brunnen, bei dem ein Kameltreiber den Stein heranschafft um sein Kamel zu befestigen und ihn für den nächsten liegen lässt, der nächste bei Dämmerung fast darüber gestolpert wäre und ihn für die nächsten vom Brunnen fortschafft“.



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20.10.2010 ein schönes Datum, an dem das Münsteraner Standesamt für noch 5 freie Hochzeitstermine für kurzentschlossene wirbt.

Summa summarum: 1499km + 277km diese Woche = 1.776 km total

1 Gedanke zu “5. Tourwoche: von Bremerhaven bis Münster (13-19.10)

  1. wie? Übernachtungsmöglichkeit im Ruhrpott?
    ja ich weiß ja, dass Du „die Jugend“ (auf) suchst, aber bisserl Zeit wird ja wohl sein, ne

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