Rücklichter #3: Junge Deutsche in NRW – Die Tour geht weiter. Lauras & Dianas Eindrücke aus Köln.

Wer sich in dieser durchschneiten und frostwind – durchzogenen zweiten Januarwoche über die Straßen von Köln bewegt, hat es meistens eilig. Nicht so Diana und ich. Schon am zweiten Tag unserer Reise sind wir im Junge Deutsche – Tour – Modus: Jede Geste, jede Straßenszene, die wir beobachten liegt in einem anderen Licht als zu Hause, im Alltag. Schilder, dicht bestandene Straßenbahnhaltestellen, Cafés und Buchläden: Mit allen Sinnen und an verschiedensten Orten sind wir auf der Jagd nach weiteren Geschichten darüber, wie die Menschen, die wir hier sehen, ihre Leben  – oder Lebensabschnitte – gestalten. Wo immer es sich ergibt und passable Raumtemperaturen zum Bleiben einladen, sprechen wir junge Menschen an – und jedes Mal gesellt sich ein neuer Aspekt, eine neue Sichtweise zum Generationsbild, das wir mit Junge Deutsche zu skizzieren suchen.

Besonders eindrücklich haben sich uns in Köln die Bilder und Klänge eines Besuchs im schwulesbischen Jugendzentrum „anyway“ eingeprägt. Anfangs ein wenig schüchtern werden die sieben Jugendlichen, denen wir Fragebögen und Stifte in die Hände gedrückt hatten, schnell sehr gesprächig. Vor allem, wo es um Bildung geht, gibt es laut vorgebrachte Beschwerden. Betroffenheit und emotionale Anteilnahme in Bezug auf das Thema liegen deutlich in der Luft.

Neue Studiengänge beispielsweise, die seit der Einführung von Bachelor und Master zur Auswahl stünden, seien oft eindrucksvoll benannt, am Ende aber nicht besonders interessant und schlecht betreut. Das hat Lukas von älteren Freunden gehört, die schon studieren. Lukas ist ein rothaariger Junge von 17 Jahren, der auch auf einem Stuhl sitzend ununterbrochen in Bewegung zu sein scheint. Auf seinem Schoß sitzt sein Freund Flo. Die beiden halten sich an den Händen, scherzen viel, wirken sehr vertraut. Flo beschwert sich darüber, dass politisches Interesse oft nur entsteht, wenn sich jenseits des Schulalltags Anreize bieten. Der Politikunterricht werde entweder sehr lebensfern und trocken gehalten oder aber gar nicht angeboten. Nadja, 18 Jahre und, wie sie sagt, in ihrer Freizeit meistens eher mit Endzwanzigern unterwegs, beschwert sich über sehr unterschiedliche Qualität des Unterrichts, die sich gar nicht nach Schulart richte, sondern schlicht nach dem individuellen Engagement von Rektor_innen und Lehrenden. Dadurch ergäben sich große Nachteile seit der Einführung des Zentralabiturs. Sie bedauert, dass ihr der Traumberuf Ärztin nicht zugänglich sei, da ihr Abiturschnitt nicht ausreicht, um einen Studienplatz zu bekommen. Seit sich ihr Aussehen geändert hätte – von blond und niedlich zu kurz und rothaarig mit Lippenpiercings – sei es nicht mehr so leicht mit den Lehrenden. Lediglich der 14-jährige Tobi ist mit dem Unterricht und auch mit dem sozialen Klima an seiner Gesamtschule sehr zufrieden. Das läge vor allem daran, dass Schüler dort wirklich geachtet, respektiert und individuell gefördert würden. Auch der sehr stille und während des Interviews konzentriert vor sich hin malende Kevin, 17 Jahre alt und angehender freischaffender Künstler und Web – Designer, ist zufrieden mit seiner Situation. Herkömmliche Bildungswege seien so oder so nichts für ihn.

Die achtzehnjährige Laura hat die meisten Lebensbereiche auf dem Fragebogen als ziemlich schlecht eingestuft. Sie klagt über großes Unverständnis, das sie seitens ihrer Lehrerschaft erfuhr, als sie mit diagnostizierter Schulangst zu kämpfen hatte. Sie sei wirklich nicht blöd. Aber so habe es eben nur zum Realschulabschluss gereicht. Gelernt hätte sie wirklich kaum, sei oft nicht zum Unterricht gegangen. Und habe trotzdem mit 1,6 abgeschlossen. Wir glauben es ihr sofort, als sie uns nach der Diskussionsrunde zusammen mit ihrer Freundin und Bandkollegin Yvonne ein witzig – böses selbstgedichtetes Lied nach dem anderen vorspielt – es geht um Themen wie die Unzuverlässigkeit und Überteuerung des Öffentlichen Nahverkehrs in Köln, um Liebe oder auch Zahnweh. Die anderen Jugendlichen sind mit in den Proberaum gekommen. Es ist laut und das Gelächter schallt die gewundene Treppe hinauf bis ins Café.

Tobi, Flo, Lukas, Laura, Kevin und Nadja rufen eine Idee nach der anderen in die Runde, als es um die Planung der Stadtstudie geht. 1000 Fragebögen schafft er vielleicht, verspricht Lukas. Oder vielleicht nur 700. Die ersten drei Jahrgangsstufen an seiner Schule kann er ja nicht durchnehmen.

Mit Bildern und Klängen im Kopf und vielen neuen Geschichten und Sichtweisen versehen verlassen wir um 22 h das anyway. Eine reiche Beute. So kann die Jagd weitergehen. Morgen in Düsseldorf, übermorgen in Münster, Freitag in Aachen und noch bis Ende Februar in ganz Deutschland.

Schreibe einen Kommentar