Beteiligungsexpertin Julia Koeffer im Interview

 

Julia Köffer im Interview über Jugendbeteiligung

Julia Koeffer, die Expertin fuer Jugendbeteiligung im Gespraech darueber, wie Jugendbeteiligung im kommunalen Raum gelingen  kann.

Julia, du hast kürzlich ein Buch mit dem Titel „Partizipation von Jugendlichen – ein Kinderspiel?“ veröffentlicht. Wieso ist es deiner Meinung nach wichtig sich mit der Beteiligung junger Menschen in ihren Gemeinden und Städten zu beschäftigen?

In öffentlichen Debatten erlebt das Thema Beteiligung Konjunktur. Begriffe wie bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Partizipation sind in aller Munde. Wenn es um das Thema Jugendbeteiligung geht, diskutieren Erwachsene allerdings gerne im Kontext einer unterstellten Politikverdrossenheit über die (fehlende) Partizipation von Jugendlichen. D.h. Erwachsene suchen den „Fehler“ bei den jungen Menschen und nicht bei den ihnen zur Verfügung gestellten Beteiligungsmöglichkeiten.

Und wer ist deiner Meinung nach Schuld, dass sich viele junge Menschen nur wenig in ihren Kommunen beteiligen?

Die Gründe für die Nicht-Beteiligung Jugendlicher sind komplexer Natur und es können meiner Meinung nach keine Allein-Schuldigen identifiziert werden. Je näher man jedoch aktuelle Jugendstudien in den Fokus nimmt, desto deutlicher wird, dass die These der politikverdrossenen Jugend zu kurz greift: Die meisten Heranwachsenden sind zwar unzufrieden mit der Politik, fühlen sich von PolitikerInnen missverstanden und nutzen ihre Partizipationsmöglichkeiten nicht aus. Dennoch geben knapp die Hälfte der Jugendlichen an, durchaus Interesse an politischen Themen zu haben. Wenn du mich fragst, dann liegt es an den Entscheidungsträgern in der Jugendarbeit, Politik und Gesellschaft sich Gedanken zu machen, welche Strukturen geschaffen werden müssen, damit sich junge Menschen in ihren Städten und Gemeinden beteiligen.

Du hast im Rahmen der Entstehung deines Buchs mit dem Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt „junge Deutsche“ zusammengearbeitet. Dabei hast du Interviews mit Teilnehmern des Projekts geführt und Handlungsempfehlungen für kommunale Beteiligungsprozesse entwickelt. Welche Strukturen wollen junge Menschen denn, um sich in ihrer Lebenswelt zu beteiligen?

Das Gros der Jugendlichen will nicht in Strukturen tradierter Politik partizipieren, sondern kreative und jugendgerechte Wege der Beteiligung eröffnet bekommen. D.h. Heranwachsende bevorzugen die Beteiligung an offenen, temporären beziehungsweise situativen Aktionen oder Maßnahmen. Jugendliche wollen selbstbestimmt arbeiten und im Rahmen von Beteiligungsprozessen die Wirkungen ihres Engagements erfahren. Außerdem fordern sie transparente Arbeitsstrukturen und wollen Spaß, wenn sie sich beteiligen.

Wird das Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt „junge Deutsche“ diesen Anforderungen gerecht?

„Junge Deutsche“ wird vieler dieser Ansprüche heute schon gerecht. Wenn Beteiligungsprozesse jedoch nachhaltig Wirkung entfalten wollen, müssen sie zur Regelstruktur werden. Momentan nimmt das Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt lediglich die Funktion einer “Brücke“ zwischen den Jugendlichen und der Politik ein. Damit Beteiligungsprozesse gelingen, müssen sie vor Ort Netzwerke bilden und Kooperationen anstoßen sowie langfristig ihren Projektcharakter verlieren. Denn nur wenn Jugendbeteiligung auf der Ebene der Verwaltung und der politischen Institutionen einer Kommune nachhaltig verankert wird, können Beteiligungsprozesse als erfolgreich bezeichnet werden. Dafür brauchen Projekte wie „junge Deutsche“ allerdings die finanzielle Unterstützung der Städte und Gemeinden.

Du sprichst immer von Jugendbeteiligung oder Partizipation. Was meinst du denn genau damit? Heißt Beteiligung für dich, dass junge Menschen Entscheidungsprozesse in ihrer Stadt oder Gemeinde selbst initiieren, anteilig mitgestalten dürfen oder nur darüber informiert werden was in der Lokalpolitik passiert?

Wenn sich zwei Leute über Jugendbeteiligung unterhalten meinen sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Gleiche. Der Begriff Partizipation ist weit komplexer, als auf den ersten Blick angenommen. In der praktischen Umsetzung von Partizipation in der Jugendarbeit existieren diverse Stufenmodelle. Das prominenteste Modell ist die Partizipationsleiter, die vom US-amerikanischen Psychologen Roger Hart entwickelt wurde. Der deutsche Pädagoge Richard Schröder erweiterte die Partizipationsleiter und unterscheidet neun Stufen von Fremdbestimmung bis Selbstverwaltung. Für mich findet „echte“ Partizipation nur auf den obersten drei Stufen statt. Sprich im Sinne von Selbstverwaltung, Selbstbestimmung und Mitbestimmung.

 

Und welche Stufe sollten Städte und Gemeinden in der Praxis von Jugendbeteiligung erreichen?

Das kann man so pauschal nicht beantworten. Der Fachdiskurs Sozialer Arbeit favorisiert die enge Definition des emanzipatorischen Partizipationsverständnisses. Im Sinne von Jugendbeteiligung würde dies Selbstverwaltung bedeuten. D.h. Heranwachsende initiieren und realisieren Aktionen und Maßnahmen selbst, Erwachsene können lediglich zu Rat gezogen werden. Dass Selbstverwaltung in der Praxis von Jugendbeteiligung nicht immer möglich ist, ist selbstverständlich. Manchmal kann auch reine Information, wie z.B. „Nächste Woche findet ein Bürgerstammtisch zum Thema xy statt.“ schon genügen. Obwohl man bei dieser Information natürlich nicht erwarten kann, dass die jungen Menschen „Juhu!“ rufen und sich unbedingt beteiligen wollen.

 

Wenn ich dich richtig verstehe, dann würdest du die, in dem Titel deines Buchs aufgeworfene Frage, „Partizipation von Jugendlichen – ein Kinderspiel?“ also mit nein beantworten. Oder?

Das stimmt. Die Partizipation Jugendlicher im kommunalen Raum ist kompliziert und kein Kinderspiel. Jugendbeteiligung ist ein langwieriger und voraussetzungsvoller Prozess – der sich langfristig allerdings für alle Akteure lohnt. D.h. für die Entscheidungsträger aus Jugendarbeit, Politik und Gesellschaft: Nicht verzagen, sondern den jungen Menschen in ihrer Gemeinde oder Stadt einen Raum geben ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Denn niemand weiß besser was junge Menschen wollen, als die jungen Menschen selbst. Das ist der erste Schritt zu erfolgreicher Jugendbeteiligung.

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