Jugendbeteiligung vor Ort – Interview mit Simon Schnetzer

Dieses Interview  hat die Redaktion des Demographie-Portals der Bundesregierung von Deutschland mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer geführt. Der Artikel erschien am 12.12.2014 und ist im Original hier zu finden: Demographie-Portal – Blog

Jugendforscher Simon Schnetzer: „Junge Menschen wollen vor Ort mitgestalten, aber auf ihre Art“

„Junge Deutsche 2015“ ist die größte aktuelle Untersuchung über das Leben und Erwachsenwerden in Deutschland. Die Ergebnisse wurden am 3. Dezember von Studienautor Simon Schnetzer und dem Pressesprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Franz-Reinhard Habbel auf der Messe „Moderner Staat 2014“ vorgestellt und heute veröffentlicht. Mit den Ergebnissen zu Themen wie Arbeit, Bildung oder Nachhaltigkeit können Firmen und Kommunen junge Menschen besser verstehen und mit ihnen kommunizieren.

Als Herausgeber der Studie gibt uns Simon Schnetzer im Interview Einblicke in die Lebenswelten der 14- bis 34-Jährigen in Deutschland. Was denkt diese Altersgruppe und was ist ihnen in Zukunft wichtig?

Simon Schnetzer, Jugendforscher und Autor der Studie „Junge Deutsche 2015“

Simon Schnetzer, Jugendforscher und Autor der Studie „Junge Deutsche 2015“ (Bild vergrößern)

Redaktion: Was war Ihre Motivation für die Studie?

Simon Schnetzer: Die Idee zur Studie hatte ich bereits vor vier Jahren. Ich wollte den jungen Menschen in Deutschland eine Stimme geben. Die vom Spiegel damals als „Krisenkinder“ bezeichnete Generation sollte sich selbst äußern, was die eigentliche Krise ist und was man tun könnte, um Deutschland für junge Menschen attraktiver zu machen. 2010 habe ich mich aufs Fahrrad geschwungen, um im ganzen Land junge Menschen zu interviewen. Zusätzlich wurden sie online befragt. Das Ergebnis war die erste Studie „Junge Deutsche 2011“, die erste nationale Erhebung.

Redaktion: Wie ging es dann weiter?

Simon Schnetzer: Seit 2012 ist „Junge Deutsche“ eine Kooperation von meiner Firma Datajockey und der Servicestelle Jugendbeteiligung in Berlin. Wir haben uns zum größten Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt in Deutschland entwickelt. Die Ergebnisse der jetzt veröffentlichten Studie „Junge Deutsche 2015“ über das Leben und Erwachsenwerden junger Menschen in Deutschland basieren auf der nunmehr zweiten nationalen Erhebung.

Redaktion: Was hat sich seit der ersten Studie verändert?

Simon Schnetzer: Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung durch das EU-Programm „Jugend in Aktion“, das Land Nordrhein-Westfalen und private Personen mittels Crowdfunding konnten wir unser Konzept erweitern. Im Rahmen der zweiten deutschlandweiten Tour haben wir junge Leute vor Ort beteiligt und mit Workshops dazu qualifiziert, eigene Stadtstudien durchzuführen. Die Frage lautete: „Wie könnte deine Stadt/Gemeinde besser für junge Menschen sein?“ Der Stadtjugendring in Kempten hat zum Beispiel durch die Teilnahme an „Junge Deutsche“ eine eigene Studie „Junge Kemptener“ veröffentlicht und aus den Ergebnissen Wahlprüfsteine als Forderungen an die Politik abgeleitet.

Redaktion: Was macht die Studie so besonders?

Simon Schnetzer: Zunächst einmal unsere Größe. 5.070 Studienteilnehmer zwischen 14 und 34 Jahren haben an unserer Befragung teilgenommen. Zusätzlich habe ich mit meiner Kollegin Diana Rychlik vor Ort 207 persönliche Interviews geführt, um die Antworten aus den Fragebögen besser einordnen zu können. Wir haben damit die größte Datengrundlage über diese Altersgruppe in Deutschland geschaffen. Die Themen der Studie sind vielfältig: Erwachsenwerden, Lebensphasen, Mobilität, Bildung, Arbeit, Vorbilder, Nachhaltigkeit, Regionen im Vergleich, Jugend im ländlichen Raum und Städte bzw. Gemeinden im Jugendcheck. Was bei unserer Studie noch heraussticht ist, dass die Ergebnisse durch die Kombination der großen Online-Befragung und der vielen Interviews eine hohe Aussagekraft besitzen. Tiefe Einblicke in die Lebenswelten der jungen Deutschen sind garantiert.

Redaktion: Was genau meinen Sie mit hoher Aussagekraft?

Simon Schnetzer: Das lässt sich am besten an einem Beispiel erklären: Das Studienergebnis, dass sich 64 Prozent der jungen Deutschen mehr soziale Gerechtigkeit von der Politik wünschen, bedeutet für die einen zum Beispiel weniger Diskriminierung gegenüber Migranten, für andere wiederum anonymisierte Bewerbungsverfahren und für die nächsten die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Diese konkreten Erkenntnisse haben wir erst aus persönlichen Interviews vor Ort gewonnen.

Redaktion: Was beschäftigt die jungen Deutschen?

Simon Schnetzer: Was junge Menschen umtreibt unterscheidet sich stark, weil sie sich in ganz unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenswelten bewegen. Auf der Deutschlandtour habe ich mit Arbeitslosen auf der Parkbank gesessen, bei Hipstern auf der Designercouch geschlafen oder mit Hausbesetzern am Lagerfeuer gesungen und drei Gemeinsamkeiten identifiziert: Junge Menschen leiden zunehmend unter Leistungsdruck und Beschleunigung in der Gesellschaft; sie hegen Misstrauen gegenüber Politikern und Parteien; und sie haben den Wunsch, dass ihre Arbeit Spaß machen soll. Trotz aller Kritik am System engagieren sich nur wenige für politische Veränderung – einerseits glauben sie eh nicht, dass es was bringt und andererseits wollen sie gerne solange Spaß haben wie möglich.

Redaktion: Gibt es Methoden, um diese Verschiedenheit junger Menschen besser zu verstehen?

Lebensphasenanalyse – Datenvisualisierung von www.jungedeutsche.de

Lebensphasenanalyse – Datenvisualisierung von www.jungedeutsche.de Quelle: Junge Deutsche 2015 (Bild vergrößern )

Simon Schnetzer: Ja, das Modell der Lebensphasenanalyse. Aus der Marktforschung wissen wir, dass sowohl gesellschaftliche Einstellungen als auch Konsumneigungen sich viel stärker an den Lebensumständen orientieren als an dem Alter: 29 Prozent der Berufstätigen sind finanziell nicht unabhängig; 21 Prozent der jungen Eltern befinden sich in keiner Ehe oder Lebenspartnerschaft; und selbst bei Familien haben nicht einmal 50 Prozent eine private Rentenvorsorge abgeschlossen.

Redaktion: Stichwort Rentenvorsorge: Welche Erwartungen haben die jungen Menschen an die Zukunft?

Simon Schnetzer: Dies ist eine besonders interessante Erkenntnis der Studie: 32 Prozent sehen die Zukunft Deutschlands negativ, 41 Prozent positiv und 24 Prozent sind unsicher. Es gibt viele junge Menschen, die sich als Weltbürger verstehen und sollten die Probleme in Deutschland einmal zu groß werden, dann suchen sie sich einfach einen besseren Ort. Diese Einstellung ist ziemlich typisch für den pragmatischen Individualismus, den so viele junge Deutsche leben.

Redaktion: Sich als Weltbürger zu verstehen ist die eine Sache, doch welches Verhältnis haben die jungen Menschen zum ländlichen Raum?

Simon Schnetzer: Es gibt viele junge Deutsche, die gerne im ländlichen Raum leben würden, es aber nicht tun, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven haben. Die Studienteilnehmer aus den Dörfern und kleinen Städten schätzen ihren Wohnort, weil sie dort Natur, Gemeinschaft, Ruhe und Nähe zu Freunden haben. Was sie am Leben im ländlichen Raum stört, sind die schlechten Freizeitmöglichkeiten, die mangelhafte ÖPNV-Anbindung, die Abhängigkeit vom Auto und die Tratscherei der Leute. Für Landbewohner ist das eigene Auto allerdings immer noch der Inbegriff der Freiheit. Obwohl sie in kleinen Orten leben, sagen 64 Prozent der jungen Leute im ländlichen Raum, dass sie (fast) keinen Einfluss auf die Politik an ihrem Wohnort haben. Das ist schade, denn 80 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass die Politik die Interessen der Jungen nicht ausreichend vertritt.

Redaktion: Die Ergebnisse haben Sie in einem Workshop Gemeinden und Politikern vorgestellt. Was können kommunale Entscheidungsträger vor Ort besser machen, um auf die Bedürfnisse junger Menschen einzugehen?

Studienautor Simon Schnetzer und Pressesprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Franz-Reinhard Habbel bei der Vorstellung der Studie auf der Messe „Moderner Staat 2014“ (Foto von www.lucamercedes.com)Bild vergrößern Studienautor Simon Schnetzer und Pressesprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Franz-Reinhard Habbel bei der Vorstellung der Studie auf der Messe „Moderner Staat 2014“ Quelle: www.lucamercedes.com

Simon Schnetzer: Ich möchte Politikern und kommunalen Entscheidungsträgern drei Tipps geben, die auf den Erfahrungen der zahlreichen Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekten meiner Firma Datajockey basieren:

  1. Raum zur Entfaltung
  2. Anerkennung für Gründer
  3. Aufzeigen von Perspektiven

Das mag banal klingen, doch unsere Erfahrung ist es, dass junge Menschen sich in veralteten Strukturen bewegen sollen. Gibt man ihnen Raum, Anerkennung und Perspektiven, passieren die tollsten Sachen. Beispiele hierfür sind die Gründervilla in Kempten, das Jugendcoaching-Projekt „Rock Your Life“ oder die partizipative Befragung in Görlitz im Rahmen von „Junge Deutsche“ und deren Wirkung. Am Ende des Workshops ließen Bürgermeister sich das Konzept der Gründervilla im Detail erklären und hatten sofort ein schönes leerstehendes Objekt im Auge, das durch die Belebung mit Gründerkultur ihre Stadt oder Gemeinde attraktiver machen könnte.

#JD15: Aus dem Tagebuch der Datenanalyse – der Lebensphasenbaum

Aus dem Tagebuch der Datenanalyse: die Lebensphasen

In Kempten ist mittlerweile der erste Schnee vom Himmel gefallen und wir arbeiten weiter mit großer Freude an der Analyse der Daten. Jedes Mal wenn wir die Daten anfassen und analysieren geht hier ein bisschen die Sonne auf, da sich mittlerweile sehr spannende Ergebnisse abzeichen.

Aktueller Stand

Unsere demografischen Analysen sind abgeschlossen und wir haben uns der Auswertung weiterer wichtiger Aspekte zugewandt. Hierzu zählen die Themenabschnitte Politik und Beteiligung, Leben und Arbeiten, Bildung und Beruf, Wohnen und ländlicher Raum, Digitalisierung und Mobilität.

Vorab schon einmal ein paar spannende Highlights der Auswertung: 78% der jungen Deutschenfühlen sich nicht ausreichend von der Politik vertreten, für 71% ist „Spaß bei der Arbeit“ für den (späteren) Beruf am wichtigsten, 32% sehen ein Problem mit Kriminalität bzw. Gewalt an ihrem aktuellen Wohnort und 34% von euch haben Angst vor Datenmissbrauch im Kontext von Digitalisierung. Diese und ähnliche Ergebnisse haben wir bereits aus den Daten herausgezaubert und können Euch schon jetzt versprechen, dass die Daten noch weitere spannende Aspekte bereit halten.

Lebensphasen

Wir haben  ein Modell der Lebensphasen entwickelt, welches uns ermöglicht das Erwachsenwerden der jungen Deutschen in einzelne Lebensabschnitte einzuteilen, und hierfür jeweils Besonderheiten festzustellen. Für die Untersuchung unterscheiden wir folgende fünf Lebensphasen:

1. Phase: schulischen Ausbildung

2. Phase: beruflichen Ausbildung/Studium

3. Phase: Berufstätigkeit

4. Phase: Ehe/Lebenspartnerschaft

5. Phase: Elternschaft

 

Bei den einzelnen Lebensphasen sehen wir uns unter anderem an, wie sich der Einfluss einer nachhaltigen Lebensweise auf die Lebenssituation auswirkt, ab wann junge Menschen ortsabhängig einen PKW-Führerschein besitzen, wie viele in der beruflichen Ausbildung schon ein Haus gekauft haben oder wie sich die berufliche Situation in den einzelnen Lebensphasen entwickelt. Natürlich sehen wir uns noch viele weitere Aspekte an, die wir jedoch hier nicht alle aufzählen wollen … ein bisschen Überraschung muss schliesslich sein. Am 3.12. ist es dann so weit.

Lebensphasenbaum

Eines ist klar: ich bin kein Designer. Aber Designer benötigen Vorlagen und so sieht mein Versuch aus, eine Grafik zu erstellen, die einen Überblick über die einzelnen Lebensphasen ermöglicht 🙂

 

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Die einzelnen Lebensphasen der Studie Junge Deutsche 2015 – ein Entwurf

 

Keine Panik, dies ist nur ein Entwurf. Bei der Veröffentlichung bekommen wir Unterstützung eines professionellen Webdesigners (Simon Winkler), der den Lebensphasenbaum entsprechend gestaltet und noch mit mehr Leben füllt.

 

Der Countdown läuft und wir, wir sind in der Zielgerade der Datenauswertung und freuen uns schon darauf die Ergebnisse bald zu präsentieren, in Workshops damit zu arbeiten und über die Fortsetzung des Projekts „junge Deutsche“ zu distkutieren.

Schöne Grüße aus der Gründervilla,

Benedikt

Junge Deutsche 2015 – Die Besteigung des Datenberges – Die demografische Analyse

Liebe Junge Deutsche!

 Hier in Kempten scheint gerade die Sonne und wir arbeiten  motiviert und mit großer Freude an der Auswertung der Studie Junge Deutsche 2015. Wie versprochen möchten wir Euch hier über die Fortschritte unserer Analyse auf dem laufenden halten.

Die Besteigung des Datenberges

Es bleibt spannend und wir freuen uns jeden Tag mehr mit Euren Daten zu arbeiten. Die Auswertung von Daten kann ein bisschen mit der Besteigung eines Berges (wovon es hier im Allgäu einige gibt) verglichen werden. Der Aufstieg ist manchmal mühsam und man freut sich immer mehr über den Weg, den man bereits zurückgelegt hat. Ist man oben angekommen, sieht man den Weg, der bereits hinter einem liegt und kann die Aussicht voll und ganz genießen. Um im Bilde zu bleiben befinden wir uns gerade an der ersten Talstation und können schon einen kleinen Teil des Weges der hinter uns liegt, stolz betrachten. Welchen Weg wir weiter beschreiten dürfen, um am Gipfel anzukommen, haben wir durch die demografische Analyse klar strukturiert und die Grundarbeiten sind nahezu erledigt. Somit können wir unsere Besteigung bald  fortsetzen, wovon wir euch natürlich berichten werden.

 

Ein Platz an der Sonne
Demografische Analyse

 

Demografie

Gerade sind wir dabei, eine erste demografische Analyse der Daten zu erstellen. Das bedeutet, dass wir uns ansehen, wie viele Frauen und wie viele Männer (ebenso wie viele Leute mit der Angabe ‚Transgender‘) Ihr seid, welches Alter Ihr im Durchschnitt aufweist und aus welcher Region Deutschlands (und der Welt) Ihr kommt. Ebenso sehen wir uns an, wie viele von Euch einen Migrationshintergrund angegeben haben, welchen Schulabschluss/Berufsabschluss ihr erworben habt und welche Anzahl von Euch eine geistige/körperliche Einschränkung angegeben hat. Zusätzlich sehen wir uns auch noch an, wie Ihr den Einstieg in Euer Berufsleben empfunden habt.

Auswertungsaspekte

Hierbei arbeiten wir auch daran, für Euch (und auch für uns) spannende Themenblöcke zu identifizieren, die wir tiefergehend statistisch auswerten möchten. Unter anderem haben wir hier schon die Analyse von Lebensphasen und den zugehörigen sozialen Gegebenheiten ebenso wie die Bedeutung sozialen Engagegements, die Mobilität Junger Deutscher sowie auch die Zukunftsperspektive Junger Deutscher ins Auge gefasst.

 

Schöne Grüße aus der Gründervilla,

Benedikt

Die Studienveröffentlichung „junge Deutsche 2015“ – Ein Interview mit dem Soziologen Benedikt Brandl

An der aktuellen Erhebung von www.jungedeutsche.de haben über 5.000 Jugendliche und junge Erwachsene aus allen Regionen Deutschlands teilgenommen. Im Dezember diesen Jahres wird die neue Studie „junge Deutsche 2015“ veröffentlicht. Die Federführung der Auswertung und Publikation liegt bei DATAJOCKEY, dem Institut für Jugendforschung und Jugendbeteiligung unter der Leitung von Simon Schnetzer (Gründer des Projekts „junge Deutsche“). Seit September verstärkt der Bamberger Soziologe Benedikt Brandl das Team zur Veröffentlichung der Studie, den wir an dieser Stelle, in Form eines Interviews, vorstellen wollen.

Simon: Hallo Ben, du bist Soziologe von der Uni Bamberg und hast schon an spannenden Themen geforscht. Wie bist du eigentlich zur Soziologie gekommen und was reizt dich am „Forschen“?

Junge Deutsche 2015 - Redaktionssitzung für die Studienveröffentlichung - Simon Schnetzer & Benedikt Brandl
Junge Deutsche 2015 – Redaktionssitzung für die Studienveröffentlichung – Simon Schnetzer & Benedikt Brandl

 

Ben: Hallo Simon. Die Frage wie ich zur Soziologie gekommen bin ist etwas komplexer. Ich habe nach meinem Abitur zunächst Zivildienst in München gemacht und wollte zwar danach studieren, wusste aber nicht genau was. Im großen und ganzen wusste ich, dass ich gerne etwas mit Menschen studieren wollte. Medizin, Psychologie, Pädagogik hatte ich mir überlegt, war aber nicht vollständig überzeugt. Eine Freundin von mir meinte dann, ich solle doch Soziologie studieren, da hier die „coolsten“ Studierenden anzutreffen seien. Nachdem ich mir dann, damals noch in München, einige Vorlesungen in Soziologie angehört hatte, war mir klar, dass Soziologie das Studium ist, was ich machen möchte. Soziologie bietet einem die Möglichkeit auf wissenschaftlich sehr hohem Niveau gesellschaftliche Zusammenhänge zu analysieren, und auf kreative Art und Weise („um die Ecke denken“) Denkprozesse anzustoßen und weiterzuentwickeln. Am Forschen reizt mich, dass es ein elementarer Bestandteil der Soziologie ist, und einem damit die Möglichkeit gegeben wird, gesellschaftliche Veränderungen tiefer zu erfassen, als dies durch den reinen Austausch am „Stammtisch“ möglich wäre.

Über partizipative Aktionsforschung

Simon: Für das Projekt „junge Deutsche“ arbeiten wir von Datajockey mit der partizipativen Aktionsforschung. Wie bewertest du die Chancen dieser Forschungsmethode gegenüber anderer Methoden in der Jugendforschung?

Ben: Ich habe in meinem Studium verschiedene Arten der Forschung kennengelernt und auch selbst bereits bei Forschungsprojekten mitgearbeitet. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Zweck bestimmter Forschungsarten darin besteht eine Inselwissenschaft zu erschaffen, da vieles nur von Soziologen selbst verstanden werden kann (und nicht einmal das ist immer gegeben). Diese Sachlage hat für mich schon immer einen Widerspruch dargestellt, da es mir nicht einleuchtet, warum man einerseits eine bestimmte Zielgruppe untersuchen sollte, diese dann aber nicht in der Lage sein darf, die Forschungsergebnisse zu verstehen und bestenfalls sogar kritisch zu hinterfragen. Die Partizipative Aktionsforschung bietet eine Möglichkeit, die Forschungsergebnisse nicht nur Zielgruppengerecht zu präsentieren, sondern die Zielgruppe auch aktiv in die Ergebnisse mit einzubeziehen. Diesen Ansatz finde ich genial, da hier nicht nur der Forscher viel Spaß am Forschen hat, sondern auch die Zielgruppe direkt von den Ergebnissen profitiert.

Erste Einblicke in die Studienergebnisse

Simon: Du arbeitest jetzt mit dem größten aktuellen Datensatz über die 14-34-Jährigen in Deutschland. Gibt es schon ein paar spannende Erkenntnisse, die du aus den Daten gezogen hast?

Ben: Ich habe erst kürzlich angefangen mit den Daten zu arbeiten, und gerade bin ich noch dabei mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Es sind ca. 350 Variablen, die ich gerade ordne und mir mögliche Auswertungsschritte überlege. Hierfür arbeite ich abwechselnd mit „psppire“ und „R“, da es sonst nicht möglich wäre diese enorme Menge an Daten zu organisieren. Was die Zufriedenheit der jungen Deutschen betrifft, habe ich schon festgestellt, dass hier regionale Unterschiede auftreten. Auch scheint es so, dass bestimmte Lebensereignisse einen Einfluss auf das Antwortverhalten bei anderen Fragen haben. Hier halte ich mich aber erst einmal bedeckt, da ich die zugrundeliegende Regressionsanalyse noch weiter bearbeiten möchte. Ich werde euch aber hier weiterhin auf dem laufenden halten und euch über alle meine Schritte, sowie natürlich Ergebnisse, informieren.

Arbeiten in der Gründervilla

Simon: Dann sind wir ja gespannt auf deine nächsten Beiträge. Datajockey sitzt ja neuerdings in der Gründervilla in Kempten – wie ist es denn dort zu arbeiten?

Ben: Es ist sehr angenehm hier zu arbeiten. Der „Spirit“ ist da, wie man so schön sagt. Man ist von kreativen Menschen umgeben, die alle interessiert und motiviert an ihren Projekten arbeiten. Das ist sowohl motivierend für einen selbst, wie auch um einiges angenehmer, als alleine in einem Büro zu sitzen. Aus meinem Fenster kann ich gerade das entstehen der Terrasse beobachten, wo ich auch schon sehr gespannt bin, wie sich dieses Projekt weiterentwickeln wird….

Simon: Und was machst du, wenn du nicht am Computer sitzt und Statistiken zum Leben erweckst?

Ben: [lacht] Dann versuche ich möglichst viel Zeit im freien zu verbringen. Sehr gerne verbringe ich Zeit in der Natur, versuche mein Wissen bei der Bestimmung von Pilzen weiterzuentwickeln um vlt. irgendwann mal die Pilzsachverständigenprüfung abzulegen. Sehr gerne koche ich auch, oder spiele Badminton…

Simon: Vielen Dank für das Gespräch und auf gute Zusammenarbeit.

Ben: Ich bedanke mich auch bei Dir Simon. Das Projekt junge Deutsche 2015 bietet unglaublich viel Potential und es bereitet mir jetzt zu Beginn schon sehr viel Freude mit den Daten zu arbeiten. Ich freue mich sehr über unsere Zusammenarbeit und auf die Ergebnisse!

Beteiligungsexpertin Julia Koeffer im Interview

Julia Köffer im Interview über Jugendbeteiligung

 

Julia Köffer im Interview über Jugendbeteiligung

Julia Koeffer, die Expertin fuer Jugendbeteiligung im Gespraech darueber, wie Jugendbeteiligung im kommunalen Raum gelingen  kann.

Julia, du hast kürzlich ein Buch mit dem Titel „Partizipation von Jugendlichen – ein Kinderspiel?“ veröffentlicht. Wieso ist es deiner Meinung nach wichtig sich mit der Beteiligung junger Menschen in ihren Gemeinden und Städten zu beschäftigen?

In öffentlichen Debatten erlebt das Thema Beteiligung Konjunktur. Begriffe wie bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Partizipation sind in aller Munde. Wenn es um das Thema Jugendbeteiligung geht, diskutieren Erwachsene allerdings gerne im Kontext einer unterstellten Politikverdrossenheit über die (fehlende) Partizipation von Jugendlichen. D.h. Erwachsene suchen den „Fehler“ bei den jungen Menschen und nicht bei den ihnen zur Verfügung gestellten Beteiligungsmöglichkeiten.

Und wer ist deiner Meinung nach Schuld, dass sich viele junge Menschen nur wenig in ihren Kommunen beteiligen?

Die Gründe für die Nicht-Beteiligung Jugendlicher sind komplexer Natur und es können meiner Meinung nach keine Allein-Schuldigen identifiziert werden. Je näher man jedoch aktuelle Jugendstudien in den Fokus nimmt, desto deutlicher wird, dass die These der politikverdrossenen Jugend zu kurz greift: Die meisten Heranwachsenden sind zwar unzufrieden mit der Politik, fühlen sich von PolitikerInnen missverstanden und nutzen ihre Partizipationsmöglichkeiten nicht aus. Dennoch geben knapp die Hälfte der Jugendlichen an, durchaus Interesse an politischen Themen zu haben. Wenn du mich fragst, dann liegt es an den Entscheidungsträgern in der Jugendarbeit, Politik und Gesellschaft sich Gedanken zu machen, welche Strukturen geschaffen werden müssen, damit sich junge Menschen in ihren Städten und Gemeinden beteiligen.

Du hast im Rahmen der Entstehung deines Buchs mit dem Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt „junge Deutsche“ zusammengearbeitet. Dabei hast du Interviews mit Teilnehmern des Projekts geführt und Handlungsempfehlungen für kommunale Beteiligungsprozesse entwickelt. Welche Strukturen wollen junge Menschen denn, um sich in ihrer Lebenswelt zu beteiligen?

Das Gros der Jugendlichen will nicht in Strukturen tradierter Politik partizipieren, sondern kreative und jugendgerechte Wege der Beteiligung eröffnet bekommen. D.h. Heranwachsende bevorzugen die Beteiligung an offenen, temporären beziehungsweise situativen Aktionen oder Maßnahmen. Jugendliche wollen selbstbestimmt arbeiten und im Rahmen von Beteiligungsprozessen die Wirkungen ihres Engagements erfahren. Außerdem fordern sie transparente Arbeitsstrukturen und wollen Spaß, wenn sie sich beteiligen.

Wird das Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt „junge Deutsche“ diesen Anforderungen gerecht?

„Junge Deutsche“ wird vieler dieser Ansprüche heute schon gerecht. Wenn Beteiligungsprozesse jedoch nachhaltig Wirkung entfalten wollen, müssen sie zur Regelstruktur werden. Momentan nimmt das Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt lediglich die Funktion einer “Brücke“ zwischen den Jugendlichen und der Politik ein. Damit Beteiligungsprozesse gelingen, müssen sie vor Ort Netzwerke bilden und Kooperationen anstoßen sowie langfristig ihren Projektcharakter verlieren. Denn nur wenn Jugendbeteiligung auf der Ebene der Verwaltung und der politischen Institutionen einer Kommune nachhaltig verankert wird, können Beteiligungsprozesse als erfolgreich bezeichnet werden. Dafür brauchen Projekte wie „junge Deutsche“ allerdings die finanzielle Unterstützung der Städte und Gemeinden.

Du sprichst immer von Jugendbeteiligung oder Partizipation. Was meinst du denn genau damit? Heißt Beteiligung für dich, dass junge Menschen Entscheidungsprozesse in ihrer Stadt oder Gemeinde selbst initiieren, anteilig mitgestalten dürfen oder nur darüber informiert werden was in der Lokalpolitik passiert?

Wenn sich zwei Leute über Jugendbeteiligung unterhalten meinen sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Gleiche. Der Begriff Partizipation ist weit komplexer, als auf den ersten Blick angenommen. In der praktischen Umsetzung von Partizipation in der Jugendarbeit existieren diverse Stufenmodelle. Das prominenteste Modell ist die Partizipationsleiter, die vom US-amerikanischen Psychologen Roger Hart entwickelt wurde. Der deutsche Pädagoge Richard Schröder erweiterte die Partizipationsleiter und unterscheidet neun Stufen von Fremdbestimmung bis Selbstverwaltung. Für mich findet „echte“ Partizipation nur auf den obersten drei Stufen statt. Sprich im Sinne von Selbstverwaltung, Selbstbestimmung und Mitbestimmung.

 

Und welche Stufe sollten Städte und Gemeinden in der Praxis von Jugendbeteiligung erreichen?

Das kann man so pauschal nicht beantworten. Der Fachdiskurs Sozialer Arbeit favorisiert die enge Definition des emanzipatorischen Partizipationsverständnisses. Im Sinne von Jugendbeteiligung würde dies Selbstverwaltung bedeuten. D.h. Heranwachsende initiieren und realisieren Aktionen und Maßnahmen selbst, Erwachsene können lediglich zu Rat gezogen werden. Dass Selbstverwaltung in der Praxis von Jugendbeteiligung nicht immer möglich ist, ist selbstverständlich. Manchmal kann auch reine Information, wie z.B. „Nächste Woche findet ein Bürgerstammtisch zum Thema xy statt.“ schon genügen. Obwohl man bei dieser Information natürlich nicht erwarten kann, dass die jungen Menschen „Juhu!“ rufen und sich unbedingt beteiligen wollen.

 

Wenn ich dich richtig verstehe, dann würdest du die, in dem Titel deines Buchs aufgeworfene Frage, „Partizipation von Jugendlichen – ein Kinderspiel?“ also mit nein beantworten. Oder?

Das stimmt. Die Partizipation Jugendlicher im kommunalen Raum ist kompliziert und kein Kinderspiel. Jugendbeteiligung ist ein langwieriger und voraussetzungsvoller Prozess – der sich langfristig allerdings für alle Akteure lohnt. D.h. für die Entscheidungsträger aus Jugendarbeit, Politik und Gesellschaft: Nicht verzagen, sondern den jungen Menschen in ihrer Gemeinde oder Stadt einen Raum geben ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Denn niemand weiß besser was junge Menschen wollen, als die jungen Menschen selbst. Das ist der erste Schritt zu erfolgreicher Jugendbeteiligung.