Was bedeutet „erwachsen sein“? Ist es eine Einstellung oder ein rational definierbarer Zustand? Dieser Beitrag handelt davon, wie erwachsen die 18-34-jährigen in Deutschland sind. Gewinnen kannst du auch, mit deiner Meinung dazu.
Mit 18 Jahren ist man rein rechtlich in Deutschland volljährig und voll geschäftsfähig. Dennoch behandelt das Strafgesetz junge Erwachsene bis zum 21. Lebensjahr wie Jugendliche, wegen des noch nicht abgeschlossenen Reifeprozesses. Biologisch, psychologisch und rechtlich wäre der Fall damit geklärt und man ist spätestens mit 21 Jahren erwachsen. Doch diese Definition ist unbefriedigend, weil ich glaube, dass sich mit 21 nur wenige wirklich erwachsen fühlen. Es stehen noch zu viele Entscheidungen an, die man noch nicht endgültig treffen möchte.
Die New York Times veröffentlichte letzten Herbst einen guten Artikel darüber, warum sich so viele 20-30-jährige immer länger Zeit nehmen fürs Erwachsenwerden. Die Autorin erzählt von gefeuerten Bankern oder frisch promovierten Akademikern, die, wie 40% ihrer amerikanischen Altersgenossen, nach einem Ausflug in die Selbstbestimmtheit wieder ihre Kinderzimmer beziehen. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum in den letzten 25 Jahren das durchschnittliche Hochzeitsalter in den USA um fünf Jahre anstieg, auf nun 26 Jahre für Frauen und 28 für Männer. Den deutschen Heimkehrern, den sogenannten Boomerangkids, widmet sich ein Artikel der ZEIT mit dem Titel „Reifeprüfung? Jetzt noch nicht!“. Junge Erwachsene werden, so die Autorin, von ihren Hubschrauber-Eltern so sehr umsorgt, dass durch dieses nicht-loslassen-wollen eine „Generation infantiler Sozialschmarotzer“ heranwächst. In diesen Thesen steckt viel Stoff für eine spannende Diskussion, in die vor allem auch die institutionellen Rahmenbedingungen junger Menschen im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt einbezogen werden müssen.
Und vor es mit den Studienergebnissen darüber weitergeht, wie erwachsen junge Deutsche sind, bitte kurz an der 10 Sekunden dauernden Umfrage hier mitmachen. Außerdem gibt es am Ende des Artikels einen schönen Preis zu gewinnen! Für die interessanteste, schönste persönliche Geschichte oder Definition zum „erwachsen sein/werden“ gibt es eine schöne Tasche von VAUDE (siehe Bild am Ende des Artikels).
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Wie erwachsen sind junge Deutsche?
Die rechtliche Definition für Volljährigkeit erweist sich also wenig hilfreich, um gefühltes Erwachsenwerden darzustellen. Daher betrachten wir im Folgenden fünf Stationen des Erwachsenwerdens:
Ende der Ausbildung | Zuhause ausziehen
Finanzielle Unabhängigkeit | Ehe | Kinder
Dabei fällt auf, dass die Phasen seit ihrer Entwicklung an Klarheit verloren haben. Junge Menschen glauben oft nicht mehr an das Ende der Phase der Ausbildung. Die sogenannten Boomerangkids zum Beispiel bejahen, dass sie „Zuhause ausgezogen“ sind und wohnen doch wieder bei den Eltern. Die dritte Frage nach der finanziellen Unabhängigkeit bejahten einige, um dann nachdenklich hinzuzufügen, dass sie aber BaFög oder Arbeitslosengeld beziehen – „zählt das dennoch als finanziell unabhängig?“ Und während Lebenspartnerschaften sich heute viel seltener für die Ehe entscheiden als früher, entstehen mehr und mehr Patchworkfamilien, die auf die Frage nach Kindern gegenfragen, ob nur leibliche oder auch angenommene Kinder zählen.
In der Studie „junge Deutsche“ haben in 2010 über 800 18-34-jährige aus ganz Deutschland angegeben, welche der Phasen markierenden Ereignisse für sie bereits eingetreten sind. Betrachtet man die Grafik, so stellt man fest, dass der Auszug aus dem Elternhaus für viele der erste Schritt in die Selbständigkeit ist und von den Ü30ern (nur?) 3% noch nicht ausgezogen sind. Das Ende der Ausbildung und die Finanzielle Unabhängigkeit entwickeln sich entlang demselben Trend, nur bei den 18 bis 21-jährigen und bei den 26 bis 29-jährigen weichen sie mit gegensätzlichen Vorzeichen stark voneinander ab. Bei den 18-21ern liegt das vermutlich daran, dass finanzielle Unabhängigkeit auch durch unqualifizierte Erwerbstätigkeit erreicht werden kann. Der 7-prozentige Überhang bei den 26-29ern, die nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung noch nicht finanziell unabhängig sind, liegt wohl an den Übergangsschwierigkeiten nach einer akademischen Ausbildung in ordentliche, nicht prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Viele meiner Gesprächspartner wollten vor der Familiengründung außer der finanziellen Unabhängigkeit auch eine gewisse Einkommenssicherheit abwarten. Das erklärt zum Teil, warum sich von den über 90% finanziell unabhängigen Ü30ern nur 20% für Familie und Kinder entschieden haben. Im selben Alter ist jede/r fünfte der Ü30er verheiratet. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Mini-Umfrage. Schon mitgemacht?
Bin ich jetzt erwachsen?
Eine weitere Möglichkeit diese Frage zu beantworten ist über die subjektive Einschätzung: erwachsen ist demnach, wer sich erwachsen fühlt. Die fünf oben genannten Stationen sind sicher für viele in der Eigenbeurteilung wichtige Anhaltspunkte.
Trotz der Unsicherheiten darüber, wie sich Erwachsenwerden genau definieren lässt, sind sich die Wissenschaftler einig, dass junge Menschen heute später erwachsen werden als ihre Eltern und Großeltern. Die amerikanische Organisation „The Network on Transistions to Adulthood“ beschäftigt sich mit dieser Fragestellung und sieht die Gründe dafür zum Beispiel in dem Wandel am Arbeitsmarkt, den gesteigerten Anforderungen an die Ausbildung junger Menschen und einer gelockerten Einstellung der westlichen Gesellschaft zur Partnerschaft.
Eine 21-jährige Wienerin schreibt in ihrem Blog übers Erwachsenwerden und fühlt sich selbst noch weit davon entfernt. Gemäß ihrer Lieblingsdefinition ist erwachsen sein eine Lebenseinstellung, der man sich bewusst wird, wenn man erkennt, dass die Welt um einen herum sich von selbst dreht und man nicht von ihr abhängig ist.
Fühlst du dich erwachsen? Was bedeutet „erwachsen sein“ für dich? Ich freue mich über zahlreiche Kommentare und Teilnehmer an dem Gewinnspiel bis 30.04.2011*. Nächste Woche schauen wir uns einzelne Phasen des Erwachsenwerdens noch genauer an.
* Teilnehmen kann jede/jeder durch einen Kommentar unter Angabe der Emailadresse, die nur für mich als Administrator sichtbar ist. Die nachhaltig hergestellte City-Tasche gefällt meiner Tour-Reisefreundin Julie, wie man sieht, super und wurde freundlicherweise von meinem Tour-Sponsor VAUDE zur Verfügung gestellt .
Eigene Gedanken zu dem Thema? Über Kommentare oder Geschichten freue ich mich hier im Diskussionsforum, auf Facebook oder per Email an stories(at)jungedeutsche(punkt)de
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Anmerkung der Redaktion: Alle Daten beziehen sich auf die Auswertung der Studie „junge Deutsche – eine Fahrraddoku und Umfrage über 18-34-jährige in Deutschland“. An der Studie haben in dem Zeitraum von 15.09.2010 bis 31.01.2011 insgesamt 800 junge Menschen aus allen Regionen Deutschlands teilgenommen.
Rückfragen zu den Daten oder Referentenanfragen an Simon Schnetzer: simon(at)jungedeutsche(punkt)de
Prof. Hurrelmann über „erwachsen sein“ in der Soziologie:
„Erwachsen ist ein junger Mensch dann, wenn er eine eigene Berufsposition übernommen hat, eine eigene Familie mit Kindern gründet, politisch kompetent urteilen kann und ein souveräner Wirtschaftsbürger ist.“
Quelle: http://binicherwachsen.ems-projekte.de/344
Mir fehlt eine wichtige Komponente in diesem Artikel: Verantwortung. Ich muss in der Lage sein, Verantwortung für mich selbst, für die Menschen in meinem Umfeld, die Gesellschaft etc. übernehmen können, damit ich erwachsen bin.
Danke Freya, für den guten Kommentar. Ich stimme dir absolut zu, dass Verantwortung übernehmen, für sich selbst und für andere, die zentrale Fragestellung ist. Allerdings muss man dann zusätzlich unterscheiden, ob man von erwachsenen Menschen oder Bürgern spricht. Ich finde, dass die von mir aufgezeigten Phasen des Erwachsenwerdens die Verantwortung auf der persönlichen Ebene gut abbilden, ohne das explizit „Verantwortung“ zu bezeichnen. Und zu dem gesellschaftlichen Teil der Verantwortung komme ich an anderer Stelle, in meinen Artikeln über Politik und Engagement noch ausführlicher zu sprechen.
Eine Frage an dich: Wie würdest du gesellschaftliche Verantwortung messen, um daraus eine Aussage über das Erwachsensein von Individuen abzuleiten?
Viele Grüße, Simon
In Anlehnung an die letzte Frage des Administrators.
Warum sollte man „gesellschaftliche Verantwortung“ überhaupt messen? Von ihr auf die Reife zu schließen ist doch Utopie.
Nur weil ich wähle, den Müll trenne und in einer Organisation bin, um Tiere zu retten, bin ich doch nicht reif oder gar erwachsen.
Natürlich kann man so Erfahrungen sammeln, die einen voranbringen (im Reifeprozess), aber man kann doch nicht selbes als Indikator verwenden, um den Reifeprozess zu bestimmen.
Schließlich kann eine Person alle Klassiker der Geschicht gelesen haben und wird dadurch, insofern er sie nicht versteht, nicht intelligenter.
Mit freundlichen Grüßen Luca und Alexander
Die Menschen damals sind auch nicht von Zuhause ausgezogen, sondern haben sich um Ihre Familie gekümmert (soziale Verwahrlosung ist aber ein anderes Thema). Waren sie dadurch nicht erwachsen? Meiner Meinung nach schlecht gewählte Auswahlkriterien. Verantwortung übernehmen, sich selbst in der Welt zurechtfinden, eine eigene persönlichkeit entwickeln – das sind unter anderem Kriterien, welche mit dem Erwachsenwerden zu tun haben. Kinder bekommen heute (ja, damals auch…) schon 14-Jährige ohne die nötige Reife.