#07 Studienergebnisse: Kinder? Nicht jetzt!

Immer später entscheiden sich junge Menschen in Deutschland für Kinder. Liegt es an der mangelnden Lust? Fehlen die Vorbilder? Oder ist die Familienpolitik schuld?

Ich will spielen!!
Ich will spielen!!

Klein Jonathan wollte nicht mehr schlafen und hat sich auf sein Lieblingsgefährt gestürzt: das orangefarbene Müllabfuhr-Brummbrumm. Richtig laufen konnte er noch nicht, aber genug um mit verzücktem Glucksen den Laster durch die Gegend zu schieben, um immer wieder mit Freudenkreischen gegen eine Wand, Heizung oder Tür zu donnern. Es war Dienstagmorgen um 5:45 Uhr und ich surfte die Wohnzimmercouch einer jungen Familie in Nordrhein-Westfalen. Mein Wecker hatte natürlich noch nicht geläutet, doch an Schlafen war jetzt nicht mehr zu denken. Eine Stunde später sitze ich mit Jonathans Mutter beim Frühstück und werde von zwei gesättigten Kindermäulern zufrieden angestrahlt: „weißt du“ sagt sie, „es sind genau solche Momente, die all die Strapazen aufwiegen und mich mit Glück erfüllen“.

Dieses Kinderglück teilen in Deutschland immer weniger junge Menschen. Während 1960 jede Frau im Schnitt noch 2,5 Kinder hatte, sind es heute gerade mal 1,4. Früher fehlten zuverlässige Verhütungsmethoden und noch früher gab es keine Rentenversicherung und hohe Kindersterblichkeit. Heute nähert sich die Lebenserwartung junger Menschen der 100-Jahresmarke und seit 1889 gibt es in Deutschland die Rentenversicherung … und seit 1960 auch die Pille: die Geburtsstunde der modernen Familienplanung. Die Entscheidung für Nachwuchs wird hierzulande immer häufiger von beiden Partnern wohl überlegt und so abgestimmt, dass berufliche Perspektiven darunter möglichst nicht leiden. Und zu Recht, denn Eltern zu sein mit nur einem Einkommen können oder wollen sich junge Familien heute nicht mehr leisten.

Wann kommen jetzt die Kinder?

Bei meiner nächsten Couchsurfing-Gastgeberin konnte ich wieder etwas länger schlafen. Die Mittdreißigerin hatte sich zunächst auf ihre Karriere konzentriert und schließlich herausgefunden, dass „der Richtige“ der Falsche war. Gründe für das Herauszögern der Entscheidung für Kinder gibt es viele: neben der Angst die berufliche Karriere aufs Spiel zu setzen, liegt für viele der Grund darin, sich einen unverbindlichen Lebensstil und sämtliche Optionen zu bewahren. Für immer mehr Menschen ist das Hauptproblem aber die prekäre Beschäftigung, die geringen Einkommen und kurzen Arbeitsverträge, die den Betroffenen die Zuversicht nimmt, sich für diesen verantwortungsvollen Schritt zu entscheiden.

#07 Kinder - nicht jetzt_Studienergebnisse
#07 JD-Studienergebnisse: Kinder? nicht jetzt! © 2011, Simon Schnetzer | junge Deutsche

An der Studie „junge Deutsche“ haben in 2010 über 800 18-34-jährige aus ganz Deutschland teilgenommen und unter anderem die Frage beantwortet, ob sie bereits Kinder haben und ob sie sich welche wünschen. In der Altersspanne von 18 bis 34 Jahre steigt die Anzahl der Eltern von 8 auf 20% und der Wunsch noch ein Kind zu bekommen fällt von 57 auf 39%. Die Ungewissheit, ob man einmal Kinder möchte, hält sich von den 18-jährigen bis zu den Ü30ern mit 35% auf hohem Niveau konstant. Ähnlich konstant ist mit etwa 8% der Wunsch keine Kinder zu bekommen.

Frage an Deutschland #1:

Warum sind Kindergärten und Tagesstätten nicht wie Schulen und Hochschulen bundesweit kostenfrei?

Frage an Deutschland #2:

Warum werden Betreuungszeiten und Beschäftigungsverhältnisse nicht besser mit den Lebensrealitäten junger Familien abgestimmt?


Glauben wir noch an das Konzept „Familie“?

Wie erstrebenswert ist es überhaupt noch eine Familie zu gründen? Eine weitere Erkenntnis aus der 2011er Jugendstudie „junge Deutsche“ ist, dass 32% der Befragten „Zerfall der Familie“ als besonders prägend für ihre Generation sehen (nach Digitalisierung und Globalisierung der drittwichtigste Umstand).

#07 Blumenwiese 2011
#07 Blumenwiese 2011 © 2011, Simon Schnetzer & L_*_ | junge Deutsche

Was das konkret bedeutet, sahen meine Gesprächspartner am Wegrand ganz unterschiedlich: ein junger Deutsch-Türke in Bad Iburg schwärmte von der Großfamilie seiner Kindheit … und erzählte dann wie der familiäre Zusammenhalt zerbricht; eine Altenpflegerin am Donausprung wurde nachdenklich bei dieser Frage und erinnerte sich an die vielen Scheidungskinder in ihrer Schulzeit und wie die familiären Dramen das Miteinander im Freundeskreis belasteten; und ein Erfurter, den ich in Wiesbaden traf, erklärte seine Beantwortung der Frage damit, dass seine Geschwister in den USA und in Schweden leben und sich die ganze Familie höchstens ein Mal im Jahr trifft.

#07 meine Ente 2011
#07 meine Ente 2011 © 2011, Simon Schnetzer | junge Deutsche

Leitbilder glücklicher Familien fehlen und Familiendramen dominieren die Medienlandschaft. Aus diesem Grund hat sich das Familienministerium etwas einfallen lassen, um „Mut und Lust auf Familie zu machen“. Bereits zum siebten Mal wurde dieses Jahr die Familien-Managerin des Jahres gekürt. Ein tolles Ziel, das ich unterstützen möchte. Dazu bedarf es aber auch Liebe und Verständnis und nicht nur eines perfekten Familien-Businessplans. Und mit mehr Verständnis erreichen wir künftig auch stärkeren Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Um diesen Zusammenhalt wird es auch im nächsten Artikel gehen, aber eher im politischen Sinne. Aus aktuellem Anlass werde ich mit meinen Studienergebnissen das Thema politische Partizipation beleuchten und einen Weg vorstellen, wie durch direkte E-Partizipation die parlamentarische Demokratie sogar gestärkt werden kann.

Ende. Oder erst der Anfang …

(*)_(o)

Eigene Gedanken zum Thema? Über Kommentare oder Geschichten freue ich mich, am besten hier als Kommentar oder per Email an stories@jungedeutsche.de

Anmerkung der Redaktion: Alle Daten beziehen sich auf die Auswertung der 2011er Jugendstudie „junge Deutsche“, die als Fahrraddoku im Herbst 2010 durchgeführt wurden. An der Studie haben in dem Zeitraum von 15.09.2010 bis 31.01.2011 (on- & offline) insgesamt 800 junge Menschen aus allen Regionen Deutschlands teilgenommen.

Rückfragen zu den Daten oder Referentenanfragen an Simon Schnetzer: info@jungedeutsche.de

2 Gedanken zu “#07 Studienergebnisse: Kinder? Nicht jetzt!

  1. meine frau und ich werden in 7 wochen eltern, und wir freuen uns riesig. und ja, was Du schreibst trifft bei uns auch zu: wir haben einen zeitraum gewählt, der in unsere karrieren gut passt – fest im sattel, mit dauerhaftem arbeitsvertrag und stabilem einkommen. aber spannend wird schon, wie man dann trotzdem familienleben und den anspruch, im beruf voranzkommen, so vereinbaren kann, dass alle zufrieden sind. wann ist es bei euch soweit?

    viele grüße aus würzburg

  2. Somit gehoren auch und deren Kinder zu den Personen mit Migrationshintergrund. Dadurch dass die Eingeburgerten wie die in die Rubrik Deutsche eingeordnet werden kann das Phanomen der Migrationsfolgen methodisch nicht angemessen erfasst werden..Uber den Weg des Kinder-und Jugendberichts der Bundesregierung 1998 an dem Boos-Nunning mitarbeitete fand der Terminus dann seinen Weg in die Offentlichkeit. Der Begriff wird vor allem seit 2006 zunehmend verwendet insbesondere als Reaktion auf die Tatsache dass die meisten in Deutschland geborenen Kinder von Auslandern seit 2000 bei der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehorigkeit erhalten.

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