Ich bin nun seit sechs Wochen unterwegs durch Deutschland und habe fast zwei Wochen in Berlin verbracht. Das war so nicht geplant, aber wichtig. Erstens, weil Diana und ich vor Cottbus einen Unfall hatten – bei dem uns zum Glück nichts weiter passiert ist, aber die Räder haben sich verkeilt und wollten nicht mehr weiter. Zweitens, weil wir endlich zusammen mit unseren Kolleg*innen in der Servicestelle arbeiten, quatschen und etwas feiern konnten … wir haben nämlich schon ganz schön viel geschafft. Herzlichen Dank für die super Zusammenarbeit, ihr seid spitze!!
In den letzten sechs Wochen haben außerdem schon über 1.300 junge Leute aus ganz Deutschland – ja, wirklich aus sämtlichen Ecken und Winkeln des Landes an der Befragung teilgenommen. Und da ich immer wieder die Frage bekomme, was wir dann aus den Ergebnissen machen, wollten wir schon vor der finalen Auswertung (Februar 2013) ein paar Ergebnisse mit Ihnen teilen:
Für die Präsentation in Berlin haben wir uns eine super Location gesucht: den „Stachel im Regierungssitz“, die Studiobühne der Distel (vielen Dank Laura).
Berlin Berlin … weiter gen Hamburg entlang der Havel und Elbe
Und weiter geht’s gen Hamburg. „Hey, könntest du bitte mal ein Bild von mir machen?“, frage ich ein Mädchen, das gerade mit ihrer Mutter an der Ampel steht. „Nein, will ich nicht!“. „Nein, ich meine Du von Mir.“ „Ach so, ok. Ach und dann vielleicht noch eins so. Und eins noch so. Und eins noch quer … :o)“ „Ciao und vielen Dank“
Es hat mich Überwindung gekostet, fühlt sich aber super an, wieder auf dem Rad zu sitzen.
Jeden Tag eine andere Stadt, jeden Tag neue Leute. Auf der Reise quer durch die Bundesrepublik bin ich in die Lebenswelten junger Deutscher eingetaucht, habe sie Fragebögen ausfüllen lassen und Interviews gemacht. Das hat mich sehr inspiriert. Vor allem ihre Geschichten.
Eine dieser Geschichten möchte ich euch erzählen. Ich traf in Gera den Maschinenbaustudenten Max*. Er war einer meiner Gastgeber. Seine Wohnung war gemütlich und aufgeräumt. Im Flur hingen bunt aneinandergereiht Tabakverpackungen unterschiedlichster Sorten, wie in einem gut sortierten Späti (für alle Nicht-Berliner: Kurzform für „Spätkauf“, ein Laden, in dem man auch nachts noch Genussmittel und Klopapier kriegen kann). „Ich habe alle Sorten schon einmal durchprobiert“, sagte er mit einem Lachen. Guter Stoff für Analogien: Die Offenheit für Vielfalt, in welcher Form auch immer, ist fester Bestandteil beim junge Deutsche-Projekt.
Max hat Freunde eingeladen, drei Jungs, einer anders als der andere. In der Küche ploppen die Bierkorken, blitzschnell vernebelt der Zigarettenqualm unter der Küchentischlampe den Blick. Das Mobiliar erinnert an eine typische alte Kneipe und die Situation hat auch etwas uriges an sich. Die Jungs haben die ideale Stammtischatmosphäre geschaffen. Zeit für mich, an die Arbeit zu gehen. Ideale Voraussetzungen für ein spannendes Interview.
Was ist die perfekte Interviewsituation? Eure Lebenswelt!
„Ach, deswegen hast du uns hierher bestellt, wir sollen Fragebögen ausfüllen!“, ruft einer von ihnen. Spüre ich da Widerstand? Die anfängliche Skepsis ist nichts Neues für mich. Natürlich müssen die Jungs erst mal von mir erfahren, was junge Deutsche für ein Projekt ist. Auch hier fallen Kommentare bezüglich des Namens. Doch sie haben nichts Konkretes gegen den Namen einzuwenden. Er habe Assoziationen in ihnen geweckt, erklären sie. Nach weiteren Hintergrundinfos widmen sie sich voll und ganz dem Fragebogen.
Meine anfängliche Sorge, ich würde sie nicht zum Mitmachen begeistern können, hat sich absolut nicht bestätigt. Skepsis kann unter anderem auch bedeuten, dass die Teilnehmer oft erst einmal irritiert sind. Wenn sie schon an Studien teilgenommen haben, lief das meistens anders ab. Da kam niemand zu ihnen nach Hause und trank Bier mit ihnen, während er einen Fragebogen aus einer Fahrradtasche zaubert. Die Vorgehensweise beim junge Deutsche-Projekt ist ihnen neu. Auch die Art der Fragen ist ungewohnt: „Welche drei Themen haben den größten Einfluss auf dich und deine Lebenssituation? – Das hat mich ja noch nie jemand gefragt…!“ Dann war es wieder still in der Küche und alle in den Fragebogen versunken. Ich war verblüfft, wie schnell diese lebendige, Sprüche-klopfende Truppe zum Schweigen zu bringen war. Dann taten sich wieder erste Lebenszeichen auf, als es darum ging, sich über die unkonventionellen Antwortmöglichkeiten lustig zu machen. Zu Frage 23 – Warum engagieren sich wenig junge Menschen in Parteien: „Da sind nur komische Leute – HAHA, geile Antwort, das kreuz‘ ich an.“, sagt der eine. „Stimmt ja auch – besser hätte man es nicht formulieren können.“, kommt aus der anderen Ecke. Als sie den Fragebogen ausgefüllt haben, schoben sie ihn mir zu. Es erinnerte mich daran, wie ich in der Schule einen Test ausgefüllt habe und der Lehrerin zur Korrektur zuschob. „Moment – die behaltet ihr mal kurz – darf ich euch noch ein paar Fragen dazu stellen?“
Statistiken zum Leben erwecken bei Bier und Qualm
Erneut fragende Gesichter. Erst fischt sie einen Fragebogen aus der Fahrradtasche und dann will sie auch noch mit uns darüber quatschen? Für so eine Diskussion muss man erst einmal warm werden. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle: Es geht um Politik, um die eigene Wahrnehmung, um Zufriedenheit, um eine Meinung. Das ist persönlich, damit rückt man selten in so einer großen Gruppe raus, es sei denn, man kennt sich gut. Diese Jungs kannten sich gut, doch haben sie vorher schon mal über solche Dinge diskutiert? Ich pickte ein paar Fragen raus, nachdem ich die Einstiegsfrage gestellt habe: Was hat dich besonders beschäftigt, in dem Fragebogen? Noch kam die Diskussion nicht richtig in Fahrt. Doch das dauerte nicht lange. Vor allem bei Gruppeninterviews sind es manchmal ganz bestimmte Themen, die die jungen Menschen bewegt und das Gespräch zum Leben erwecken. Und wenn man sie gefunden hat, ist es, als hätte jemand ein Ventil geöffnet und alles sprudelt aus ihnen heraus.
Am spannendsten ist der Moment, in dem sie merken, dass die Themen im Fragebogen sehr nah an ihre Realität gehen.
Bei Frage 11, bei der es um Kriterien rund um ihren Wohnort geht, entsteht eine lebhafte, ja sogar emotionale Diskussion. Die Jungs sind viel von Gewalt und Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und einer schlechten Bildungssituation umgeben. „Die Stadt Gera lässt Rockkonzerte von Nazis zu. So kommen Nazis von außerhalb in unsere Stadt. Ich kenne keine andere Stadt, die sich sowas gefallen lassen würde.“, sagt Max. „Als Jugendlicher bist du hier nicht gut aufgehoben – es gibt kaum Angebote. Hier um die Ecke ist eine Disco, da lassen sie auch Minderjährige rein, ohne Zeitbegrenzung. Du hast als Minderjähriger keinen Schutz. Außerdem wirst du überall angepöbelt, auf der Straße, in der Bahn…es reicht aus, wenn du scheiße aussiehst. Als junges Mädchen kannst du abends nicht alleine auf die Straße gehen.“ Die Jungs hatten ein starkes Bedürfnis nach sozialem Zusammenhalt. Daher haben sie ihre eigene Community gegründet. In ihrer aus rund 80 Mitgliedern bestehenden Gruppe werden Freizeitaktivitäten geplant und sie haben sogar eigene T-Shirts mit Logo.
Max hat eine eigene Community gegründet. Bier trinken ist nicht ihre einzige Tätigkeit, aber eine identitätsstiftende.
Die Diskussion ist nun ein Selbstläufer. Die Jungs warten auf meine Fragen, wenn sie ihre Meinung zu einem Thema ausreichend kundgetan haben. Offensichtlich haben sie Spaß daran. Ich auch. Auf absolut lebhafte Weise baut sich vor mir eine Lebenswelt auf. Es ist, als ob ich ein Puzzle baue, zu dem im Sekundentakt neue Teile dazu kommen. Vor meinem inneren Auge entsteht ein Bild, das immer klarer und greifbarer wird.
„Wir haben in dieser Runde vorher noch nie über Politik geredet.“, war Max’ Rückmeldung nach dem Interview. „Es war interessant, auch mal zu hören, was die anderen darüber denken.“ Vielleicht konnte ich damit ja noch die ein oder andere Diskussion ins Rollen bringen…
Ein Beitrag über unsere tägliche Herausforderung, junge Leute für das Projekt zu gewinnen. Beteiligung ist harte Arbeit, die Engagierten werden mit Anfragen überhäuft und dann kommen zwei Radler mit noch einem Projekt. Warum es sich lohnt mitzumachen und wir uns auf euch freuen.
Jetzt fahre ich schon seit drei Wochen gemeinsam mit Diana durch die Republik. Gemeinsam zu fahren, Interviews und Workshops durchzuführen und danach auszuwerten ist eine echte Bereicherung für mich persönlich und für das Projekt. Warum macht Jugendforschung- und Beteiligung Spaß? Für mich, weil ich die Gespräche spannend finde, durch die Statistiken zum Leben erweckt werden. Aber das ist nicht entscheidend. Ob wir das Ziel von mehr Beteiligung und besserer Interessensvertretung junger Menschen erreichen, hängt davon ab, ob wir Andere für das Projekt begeistern können.
Wir gehen im Rahmen der Tour zu Schulen, Jugendzentren oder Großveranstaltungen und werben für die Teilnahme an dem Projekt. Vielen Dank an dieser Stelle an Anni, Laura, Marc, Maren und Matti bei der Servicestelle, ohne deren Unterstützung das nicht möglich wäre. Die Aktionen richten sich in Dauer und Format ganz nach den Gastgebern: wir machen Gruppengespräche mit Kleingruppen im Jugendzentrum und diskutieren die Lebenssituation junger Leute in der Stadt, wir führen im Kreise von Jugendarbeitern (z.B. vom örtlichen Jugendring organisiert) ein Training zur Durchführung und Auswertung von Interviews durch, oder wir präsentieren vor großen Gruppen die Ergebnisse und das Konzept unserer Forschungsarbeit. Und wir sind spontan und flexibel mit dem Format – sprich, wir können spontan auf die tatsächliche Gruppengröße eingehen.
Spielkonsole vs. Beteiligung
Eine super Erfahrung war unser Aufenthalt in Weiterstadt in Hessen. Um für mehr Beteiligung junger Menschen in der Stadt zu werben, hat der lokale Verein JUST in your Town ein 24-Stunden-Camp aufgebaut, um über Engagement-Möglichkeiten zu informieren und um auf der bequemen Couch ins Gespräch zu kommen. Als wir ankamen wurde noch eifrig vor dem Bildschirm gezockt. Wir verteilten Fragebögen an junge Weiterstädter und ernteten gleichermaßen Anerkennung wie Unverständnis für das Projekt – Anerkennung für die Tour, Unverständnis für den Aufwand, den wir dabei treiben. „Ok, ich bin fertig! Und wie soll da jetzt eine Stadtstudie daraus werden?“
Wir haben fünf Fragen ausgesucht und innerhalb der Gruppe eine Auswertung gemacht – unspektakuläre Statistik mit Handzeichen und Strichliste. Das mit Strichen gespickte Blatt haben wir dann zusammen mit den Jugendlichen untersucht, auf Trends und Besonderheiten hin. Die Aufgabe lautete: „Was sind die wichtigsten Themen oder Anliegen junger Menschen in deiner Stadt?“ Wir haben uns drei Trends oder Geschichten geeinigt, die wir erklären wollen und die Runde befragt, wer das Gefühl von Sicherheit in der Stadt als „eher schlecht“ einstuft und wieso er oder sie zu dieser Bewertung kommt. Als klar wurde, dass sich hinter derselben Antwort zehn unterschiedkliche Sichtweisen verbergen können, hatten wir den Wettkampf gegen die Spielekonsole gewonnen. Als hätte es Klick gemacht – die Teilnehmer waren plötzlich voll bei der Sache. Aus der Zahl 60% wurden auf einmal Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein können. Es kam Bewegung in den Pavillion und auf dem Marktplatz entstand eine lebhafte Diskussion. „Kannst du noch bleiben und uns erklären wie wie Interviews machen können?“ Natürlich bin ich länger geblieben. Ich liebe dieses Funkeln in den Augen und die Neugier mehr zu wissen.
Weiterstadt macht weiter. Die jungen Leute von JUST in Town organisieren, dass in ihrer Stadt eine Stadtstudie durchgeführt wird. Sie wollen sich für eine bessere Situation junger Menschen in ihrer Stadt einsetzen und erarbeiten mit der Stadtstudie ihre Prioritäten und eine überzeugende Argumentationsgrundlage, in Zahlen und Geschichten. Um repräsentative Aussagen über die verschiedenen Lebensphasen junger Menschen treffen zu können, werben sie um die Unterstützung anderer Akteure, die selbst jung sind oder mit14-34-Jährigen arbeiten, wie z.B. an Schulen, Jugendeinrichtungen, Streetworker oder beim Arbeitsamt.
Was ins Rollen bringen …
Weiterstadt ist nicht allein. In Stuttgart hat der Choice e.V. eine schöne Stadtrally (trotz Regen) mit anschließendem Workshop im Inzel in Bad Cannstadt organisiert. In Kempten haben wir mit dem Stadtjugendring Kempten bereits zwei Interviewer-Workshops durchgeführt. In Aachen hat eine junge Studentin von Think Young einen Workshop in einer angesagten Studikneipe und ein Interview mit dem Campus Radio Aachen organisiert. In Essen war es ein engagierter Pfarrer, der im Stadtteiltreff Holsterhausen junge Leute für Gruppengespräche zusammentrommelte … Und in deiner Stadt?
… und wie geht’s weiter?
Werbt erst einmal dafür, dass möglichst viele Leute online an der Befragung teilnehmen. Sucht bitte die Unterstützung von Leuten mit einem Draht zu den verschiedenen Altersgruppen, wie Engagierte Leute an Schulen, in Gemeinden, Vereinen, Jugendzentren, und so weiter – damit die Ergebnisse nicht nur für eine Altersgruppe Aussagen treffen können. Ihr teilt uns mit, dass ihr das macht und die Postleitzahlen für euer Gebiet und wir geben euch nach 100 Teilnehmer_innen umsonst eine Zwischenauswertung. Durch diese Auswertung erkennt ihr bereits Trends und Themen, die für eure Stadt oder Gemeinde besonders relevant sind. Diese Themen könnt ihr dann in Interviews aufgreifen und euch erklären lassen. Die Schlussauswertung bekommt ihr nach dem 31.01.2013 natürlich auch. Dann habt die Situation junger Leute in Zahlen und könnt diese durch ganz konkrete Geschichten argumentieren, zum Beispiel im Dialog mit Entscheidungsträger_innen vor Ort.
Wie man Interviews führt oder wie aus Statistiken & Geschichten Stadtstudien werden, das erklären und üben wir in unseren Workshops, oder ihr liest es kurz und knapp in den Dokumenten auf der Seite Methodik. Dort kann man übrigens auch den Fragebogen und den Tour-Flyer herunterladen.
Lust bekommen? Kontaktiert uns und lasst uns wissen, wie wir euch unterstützen können. Und wenn wir auf der Tour noch bei euch vorbeikommen, dann lasst uns doch in Potsdam, Berlin, Rostock, Hamburg, Bremen, Halle, Nürnberg, München, Kaufbeuren und vielen Orten dazwischen noch was schönes – egal ob groß oder klein – organisieren. Bei mir geht’s aber erstmal von Chemnitz weiter nach Dresden – bei strahlendem Wetter und hoffentlich ohne Gegenwind.
Je mehr mitmachen, desto lauter wird die Stimme junger Menschen gehört werden. Ladet bitte eure Freunde und Bekannte zur Teilnahme an der Befragung ein www.jungedeutsche.de/jd2012/online-teilnahme/
„Geil da fahre ich mit“, habe ich gesagt, als ich von dem Projekt „Junge Deutsche“ erfahren habe. Warum ich dabei bin und was ich unterwegs so erlebe, berichte ich in meiner Kolumne „Rücklichter“
Eine nette Begegnung im Saarland – keine Seltenheit im Sattel
Ich fahre zum 2. Mal tausende Kilometer durch ganz Deutschland. Das kann man zu jeder Jahreszeit machen und die Entschleunigung ist vielmehr Bereicherung als Einschränkung. Reflektionenen über Mobilität in Deutschland.
Ich muss nicht erst die Auswertung der Studie abwarten, um sagen zu können, dass viele junge Menschen in kleinen und großen Städten deutschlandweit das Angebot an Radwegen für extrem bescheiden halten. Schreib uns doch einen Kommentar darüber, wie es in deiner Stadt aussieht. „Ich habe Angst
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