Ab 2013 sollte im Bundestag ein digitales Mitglied den aktuellen Willen des Volkes direkt vertreten. Gründe dafür und wie das konkret aussehen kann im nachfolgenden Artikel, oder zum Mitgestalten im Wiki unter www.digitaleabgeordnete.de
Ganz Deutschland redet von den Wutbürgern und dem Wunsch nach mehr Beteiligung am Regierungsgeschehen. Entscheidungen der demokratisch gewählten Regierungen auf allen Ebenen wird misstraut, wie unlängst die Studie „junge Deutsche“ ermittelte. In lokalen Initiativen, Online-Petitionen oder Facebook-Gruppen organisieren Menschen ihren politischen Willen, doch der Weg dieser konstruktiven Energie zu den Entscheidungsträgern ist ein weiter. Die immer populärer werdenden Einflussmöglichkeiten sind das Petitionsverfahren und der Volksentscheid. Doch es gibt noch einen anderen Weg: wir könnten die Stimme des interessierten Volkes direkt an Entscheidungen im Bundestag beteiligen, durch ein Onlinevotum, dessen Abstimmungsergebnis einem digitalen Mitglied des deutschen Bundestags (DMdB) übertragen wird.
66% sagen „JA“:
„Durch das Internet sollte es neue Möglichkeiten der politischen Beteiligung geben“
73% sagen „NEIN“:
„Ich vertraue der aktuellen Regierung, dass sie das Land gut lenkt“
86% sagen „NEIN“:
„Ich finde, dass die Politik die Interessen der jungen Generation ausreichend vertritt“
Mehr Demokratie und Beteiligung durch ein Digitales Mitglied des Deutschen Bundestags
Die Idee dazu kam mir, als ich für die 2011er Jugendstudie „Junge Deutsche“ mit dem Fahrrad durch Deutschland unterwegs war und beim Pedale treten viel Zeit zum Nachdenken hatte. Am Wegrand und Abends bei meinen Gastgebern diskutierte ich in den verschiedensten Regionen mit jungen Menschen der unterschiedlichsten Gesinnungen Gesellschaftsthemen und stieß auf eine recht vertrackte Situation: erstens, junge Menschen in Deutschland empfinden große Unzufriedenheit mit den meisten deutschen Parteien und Politikern; und zweitens, die Bereitschaft sich politisch zu engagieren ist wesentlich größer als die Bereitschaft in eine Partei einzutreten („erstens bringt das eh nichts“ sagen viele „und außerdem gibt es keine Partei mit der ich mich identifizieren wollte“). Es muss also einen Weg geben, damit das außerparteilich organisierte Engagement (nicht nur von jungen Menschen) institutionell in die Demokratie einfließen kann. Und daraus entstand die Idee, eine neue Form der politischen Beteiligung über das Internet zu organisieren: die digitalen Abgeordneten.
Definition: Digitale Abgeordnete sind Vertreter des Volkes im Bundestag, Landtag etc., deren Abstimmungsverhalten direkt durch das Internet von interessierten Bürgerinnen und Bürgern entschieden wird. Dadurch wird ein Element der direkten Demokratie auf höchster Regierungsebene eingeführt, das die aktuelle Meinung des Volkes transparent darstellt und in Abstimmungen vertritt. Ein gewünschter Nebeneffekt ist, dass dadurch ein höherer Grad an politischem Interesse und Legitimation für politische Entscheidungen erreicht wird.
Konkret schlage ich vor, dass in dem 2013 gewählten Bundestag ein Digitales Mitglied des deutschen Bundestags (DMdB) „sitzt“, das mit dem realen aber zunächst symbolischen Mandat von sechs Stimmen oder 1% der aktuell 621 Bundestagsmandate ausgestattet ist. Die Beteiligung des DMdB an Entscheidungen erfolgt partizipativ, unparteiisch, öffentlich und transparent in fünf Phasen:
- Informieren: auf der Internetpräsenz des DMdB werden anstehende Entscheidungen nach Themen geordnet, durch Kurzinformationen und Links aufbereitet und Interessierten zum Abonnement angeboten
- Diskussion: für jede anstehende Abstimmung entsteht auf der Präsenz eine Sammlung von Argumenten pro und contra, die von Besuchern bewertet (gerankt) werden
- Abstimmungsphase: auf der Grundlage der gesammelten Argumente können Interessierte über die Plattform entweder für oder gegen die Entscheidung stimmen und bei der Gelegenheit die Auswertung der jeweiligen Entscheidung abonnieren
- Abstimmung im Bundestag: das Digitale Mitglied des deutschen Bundestags vertritt bei einer Entscheidung mit allen Stimmen die Mehrheitsposition des Online-Votums
- Rückmeldung: alle an dem Thema Interessierten und bei der Abstimmung Involvierten werden über das Resultat der Abstimmung informiert (z.B. wie bei Abgeordnetenwatch.de)
Die Funktionsweise ist noch nicht perfekt und mit der Umsetzung habe ich noch gar nicht begonnen, aber es ist der Anfang für eine Diskussion, mit der sich Politiker und das Volk früher oder später beschäftigen müssen. Jeder konstruktive Beitrag für die Verbesserung und Umsetzung ist willkommen in dem Demokratie-WIKI auf www.digitaleabgeordnete.de. Daraus kann ein wichtiges Instrument entstehen, um die Bevölkerung künftig ehrlich zu beteiligen und mehr Legitimation für politische Entscheidungen zu erreichen.
Wie bei allen internetbasierten Regierungsformen (eGovernance) gehen mit den Chancen auch Risiken und Aufgaben einher, die mit ausgeklügeltem Design und dem nötigen Willen lösbar sind:
CHANCEN |
AUFGABEN |
Moderne Form der politischen Partizipation |
Korruption durch Nutzer des Systems verhindern |
Mehr Legitimation für politische Entscheidungen | Korruption durch Hacker verhindern |
Parteienungebundene Beteiligungsform | Datenschutz gewährleisten |
Themenbezogene Beteiligung | Thematische Neutralität sichern |
… | … |
Die Stimme der interessierten Bürgerinnen und Bürger ist ernst zu nehmen und nicht mit einem platten „Vox populi, vox Rindvieh“ abzutun. Damit Menschen sich die Zeit für das Engagement auf einer solchen Plattform nehmen, ist der institutionelle Wirkungskanal von großer Bedeutung. Die Kosten einer solchen Plattform sind erheblich, aber durch die Einsparung von sechs realen Bundestagsmandaten finanzierbar.
Ob die Zeit für die Einführung des DMdBs schon reif ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall sollte es diskutiert werden. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass das demokratische System Deutschlands dadurch gestärkt werden kann. Alle die ähnlich oder anders denken: Willkommen im DemokratieWiki
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Anmerkung der Redaktion: Alle Daten beziehen sich auf die Auswertung der 2011er Jugendstudie „junge Deutsche“, die als Fahrraddoku im Herbst 2010 durchgeführt wurde. An der Studie haben in dem Zeitraum von 15.09.2010 bis 31.01.2011 (on- & offline) insgesamt 800 junge Menschen aus allen Regionen Deutschlands teilgenommen. Im nächsten Beitrag wird es, auf Anregung von Lesern, um Partnerschaften auf Distanz und zwischen Kulturen gehen.
Rückfragen zu den Daten oder Referentenanfragen an Simon Schnetzer: simon@jungedeutsche.de
Hi Simon,
An sich eine schöne Idee aber ich befürchte konservative Kräfte werden so was höchsten als Alibi-Aktion zulassen. Ein aktuelles Beispiel wie die Politiker mit der „Netzgemeinde“ (eigentlich Politiker-Slang den man wahrscheinlich nicht nutzen sollte) umgehen ist die Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Constanze Kurz (u.a. Sprecherin des CCC) hat dazu kürzlich einen ernüchternden Erfahrungsbericht geschrieben:
https://www.faz.net/artikel/C30833/netzneutralitaet-im-siebenten-kreis-der-demokratie-30458545.html
Für die Etablierung des von Dir vorgeschlagenen DMdB müssten meines Wissens nach einige Änderungen am Wahlrecht vorgenommen werden, was sehr schwierig ist. Aber es gibt schon eine elegante Lösung, die ohne solche Änderung auskommt: LiquidDemocracy (Delegated Voting) auf Ebene der Parteien.
Ein paar Links dazu:
https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Delegated_Voting
http://wiki.liqd.net/Liquid_Democracy
http://liqd.net/
http://wiki.liqd.net/Adhocracy
Eine ausführlicher CRE-Podcast dazu:
http://chaosradio.ccc.de/cre158.html
Die PiratenPartei setzt das System an einigen Stellen schon ein:
https://wiki.piratenpartei.de/Liquid_Democracy
Viele Grüße
Konrad
Hallo Konrad,
vielen Dank für das ausführliche Feedback und die spannenden Links.
Ich glaube selbst, dass man einen DMdB zunächst mit einem symbolischen Stimmanteil ausstatten sollte. Man kann das „Alibi Aktion“ oder als einen sinnvollen Prozess bezeichnen. Es gibt große Unsicherheiten bzgl. Akzeptanz und Missbrauch netzbasierter Systeme. Wenn es gut läuft, sollte man auf den Erfahrungen aufbauend dieses Direktmandat schon bald mit mehr Stimmen ausstatten.
Der spannende Bericht von Konstanze Kurz bestätigt die Notwendigkeit einer Ergänzung des bestehenden Systems. Ich bin der Überzeugung, dass dies die Identifikation mit der Arbeit der Regierung und letztlich mit unserer Demokratie verbessern kann. Ja, die Hürden sind hoch, aber nicht zu hoch! Liquid Democracy leistet super Pionierarbeit mit Chooso und Direktem Parlamentarismus. Über die Unterschiede, Synergien oder Ergänzungsmöglichkeiten werde ich mich mit den Betreibern von LD besprechen.
Beste Grüße,
Simon
Hallo Simon,
ein absolut wichtiger und richtiger Ansatz den demokratischen Ansatz unserer heutigen Zeit anzupassen. Es gibt viele Diskussionen und Workshops in denen man sich damit beschäftigt, wie mehr Basis-Demokratie zusande kommen kann. Hierzu sende ich dir in bälde weiterführende Links.
Auch halte ich es für Richtig ein solches Mandat für die Einführungsphase mit dem von dir genannten symbolischen Stimmenanteil auszustatten. Die Erfahrungen daraus werden in der Zukunft helfen das System tiefer zu integrieren.
Zur Umsetzung halte ich eine Einbindung z.B. in das System der Eptition des Bundestages (https://epetitionen.bundestag.de/) für wichtig. Auch zur Sicherung, dass jeder nur einmal bei einer Abstimmung teilnehmen kann, wäre z.B. die Identifikation über den Personalausweis hilfreich.
Bis in Kürze,
Arne
{Kommentar der Redaktion: der cleverste Spam, der mir bislang untergekommen ist}:
…GeiBler Die liegt doch daran dass die Menschen denken alles werde hinter verschlossenen Turen gemacht und dunkle Machte vor allem die kapitalinteressierten nahmen Einfluss auf die Entscheidungen.
Auf meinem Dialog über Deutschland können Sie, werte Leserinnen und Leser von http://www.jungedeutsche.de, unter folgendem Link über den Vorschlag abstimmen. Es findet dort auch bereits eine rege Diskussion statt.
https://www.dialog-ueber-deutschland.de/DE/20-Vorschlaege/10-Wie-Leben/Einzelansicht/vorschlaege_einzelansicht_node.html?cms_idIdea=354